Professor Heinrich Ömmel stand auf und legte ein neues Stück Buchenholz in den Kamin. Dann setzte er sich zurück in seinen Sessel und beobachtete, wie sich die Flammen an dem Scheit hochfraßen.
Heinrich Ömmels Gedanken wanderten wieder zu seiner Gattin. Wehmütig dachte er an die Anfänge ihrer Beziehung. Wie hatte Jas-min ihn damals hofiert und verwöhnt. Er hatte sie auf einer Dienst-reise kennen gelernt. Sie hatte in München als Domina in einem entsprechenden Etablissement gearbeitet, und Ömmel hatte ihr Leistungsangebot zu schätzen gewusst. Er hatte ihr zwischen den verschiedenen Positionen prahlerisch von seiner eigenen beruflichen Po-sition erzählt und auf diese Weise ihre Begehrlichkeit geweckt. Sie sah in ihm die große Chance, sich aus ihrem misslichen Gewerbe zu befreien, zumal es mit ihren Brüsten ohnehin langsam bergab ging.
Die Interessen der beiden überschnitten sich. Er wollte ein zweisam-es Leben führen und suchte eine attraktive Frau an seiner Seite.
Sie wollte in die bessere Gesellschaft und suchte einen reichen Mann an ihrer Seite.
Sie hatte mit ihm das große Los gezogen.
Er hatte mit ihr ähnliches Glück gehabt wie mit seinen Lehman-Zertifikaten.
Das Feuer des Kamins wärmte Ömmel wenigstens ein bisschen von außen. Er griff nach einem Buch von Bruno Brand-Stifter. Bruno war sein Nachbar und schrieb Kriminalromane und Drehbücher.
Brand-Stifter konnte nicht sonderlich gut schreiben, aber er hatte die richtige Gesinnung. Die Reichen waren die Bösen, die Frauen die Gu-ten. Neuerdings baute er auch gerne einen dümmlichen Neonazi ein, das gab zusätzlich öffentliche Fördermittel.
Bruno Brand-Stifter malte stets mit konturenlosem Schwarz-Weiß ein dumpfes Links-Rechts-Schema. Seine politischen Botschaften waren einfältig. Seine Drehbücher fanden besonders bei der öffentlichen-rechtlichen Anstalt des Stadtstaates B. großen Anklang, weil deren Einfaltspinsel die Bösebuben-Litanei für Sozialkritik hielten. (Eine vollständige Namensnennung scheint an dieser Stelle aus rechtlichen Gründen nicht angebracht.)
Ömmel las ein paar Seiten in Brand-Stifters Buch, in dem sich schlichte Sprache und kärgliche Handlung genial ergänzten. Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Weinglas, um die Wirkung des Romans erträglicher zu gestalten. Aber es nützte nichts. Er legte die Schwarte wieder zur Seite und nahm sich eines seiner Pornohefte aus dem geheimen Fach im Bücherregal hinter der Propyläen Weltgeschichte. Aber selbst seine Begierde nach Sado- Maso-Spielchen quälte ihn nicht mehr so wie früher. Das Leben konnte sadistisch sein.
Das Holz knisterte im Kamin und verlieh dem Raum eine behag-liche Atmosphäre. Plötzlich knackte es irgendwo im Haus. Ömmel schreckte in seinem Ohrensessel hoch. Er musste eingenickt sein. Ob er sich getäuscht hatte? Ob er geträumt hatte?
Der Preis für die Abgeschiedenheit seines Anwesens war die erhöhte Einbruchsgefahr, der er aber als erfahrener Kriminologe durch ein ausgeklügeltes Sicherungssystem begegnet war.
Hier kommt so schnell keiner rein, beruhigte er sich. Es sei denn….
Irgendwo knackte ein Schloss. Ömmel saß kerzengerade in seinem Sessel. Er hatte sich doch nicht geirrt. Da war jemand. Sein Herz begann zu rasen. Mühsam versuchte er, Herr seiner aufgeschreckten Gedanken zu werden. Vielleicht war seine Frau früher zurückgekommen? Oder das Dienstmädchen?
Er zwang sich aufzustehen, um nachzusehen, woher das Geräusch gekommen sein könnte. Fahrig warf er sein halbvolles Weinglas um. Der Reflex, das Malheur aufzuhalten, schlug fehl.
Angst stieg in ihm hoch. Er stolperte über ein Holzscheit vor dem lodernden Kamin. Er stürzte.
Als er sich aufrappeln wollte, sah er, wie die Klinke heruntergedrückt wurde. Er blieb am Boden hocken und starrte wie hypnotisiert auf die Tür, die sich langsam öffnete.
Ein Mann stand vor ihm, eine Pistole in der Hand. Ömmel sah dem Fremden ins Gesicht und es war ihm, als ob er ihn schon mal gesehen hatte.
Das Schloss der Waffe knackte. Der Fremde zielte auf den Schlotternden.
„Setzen Sie sich!“ befahl der Mann tonlos.
Ömmel erhob sich vorsichtig aus seiner Bodenlage und ging mit tastenden Schritten rückwärts. Sein Blick war gebannt auf die geladene Pistole gerichtet. Dann ließ er sich in den Sessel plumpsen.
Der Fremde war in angemessenem Abstand gefolgt. Er ließ Ömmel nicht aus den Augen und schien selbst zu zittern.
Der Alptraum hatte begonnen.
Jasmin Ömmel, ihres Zeichens Ehefrau von Professor Ömmel, juchzte, ächzte und stöhnte zur gleichen Zeit lustvoll im Bett von Ali Güdücür. Sie glaubte, das sei sie ihrem Liebhaber schuldig; sie war nicht zu Unrecht der Meinung, manche Männer würden es mögen, wenn ihre Männlichkeit lautstarke Anerkennung erfahre.
Und außerdem entsprachen Jasmins Geräusche durchaus ihrer eigenen Gemütslage.
,Bei Allah‘, dachte Ali stolz, ,die stöhnt sich ja wieder was zurecht heute. Ist aber auch kein Wunder, wo ich so gut bin.‘
Das Zimmer Alis entsprach nicht unbedingt den gehobenen Ansprüchen der gnädigen Frau Ömmel, weckte aber Erinnerungen an ihre Zeit vor der Ehe. Über die Nachttischlampe hatte ihr Lover ein rotes Tuch gelegt und auf diese Weise dem Zimmer eine lächerliche Bor-dell-Atmosphäre verliehen. Auch die schweren Vorhänge vor dem Fenster waren in tiefem Rot gehalten.
Jasmin machte gerne die Augen zu, um nicht dauernd auf die verblichenen Tapeten sehen zu müssen. Oder an die Decke mit den Spinn-weben. Das Bett begleitete knarzend den Rhythmus der beiden. Im Hintergrund dudelte leise ein billiger CD-Recorder mit landestypischer Musik des Hausherrn. Es wäre übertrieben, von einem betören-den erotischen Ambiente zu sprechen. Aber das störte die beiden Ak-teure nicht.
Ali nannte den Raum gern sein Arbeitszimmer. Oben auf den Schrank hatte er geschickt eine Kamera platziert. Sie schien wie zu-fällig dort zu liegen und nahm doch mit großer Genauigkeit das Geschehen in dem altmodischen französischen Doppelbett auf.
,Für alle Fälle‘, hatte Ali einem Freund erzählt, ,man wisse ja nie, ob man das nicht noch mal irgendwann gebrauchen könne‘.
Seit Jasmin Ömmel das Fitnesstraining beim Türken Ali Güdücür begonnen hatte, hatte sich ihre körperliche Verfassung phänomenal verbessert. Das galt für den Seelenzustand ebenso wie für die Belastbarkeit ihrer Bauchmuskulatur.
Für Ali Güdücür war das Fitness-Studio das größte Glück seines bis dahin eher verkorksten Lebens. Seine Vergangenheit als dealender Kleinkrimineller lag lange zurück, fast ein Jahr. Bald nach der Eröffnung seines neuen Ladens war er zum Geheimtipp der besseren Da-menwelt der Stadt geworden. Mit der Unterleibsbetreuung diverser gehobener Gattinnen hatte er sich ein zweites Standbein geschaffen. Seine schwarzen Locken und sein Waschbrettbauch überdeckten die geistigen und charakterlichen Mängel in verlockender Weise.
Er war geschäftstüchtig. Er konnte zwar nicht gut lesen und schrei-ben, aber rechnen konnte er ganz gut. Vor allem Frauen konnte er gut ausrechnen.
Und mit Koks handelte er nebenbei immer noch. Und Jasmin Ömmel stöhnte noch immer.
„Wer sind Sie?“
Kaum hatte Professor Ömmel die Frage ausgesprochen, wurde ihm klar, wie albern sie war. Sein Gegenüber würde ihm kaum seine Iden-tität preisgeben, erstaunlich genug, dass er ohne jede Tarnung er-schienen war. Es sei denn, jener ginge davon aus, dass der zitternde Villenbesitzer ohnehin zu keiner Täterbeschreibung mehr kommen werde.
Ömmel fror.
„Wie sind Sie eigentlich hier reingekommen?“
„Mit einem passenden Schlüssel!“
„Wo haben Sie deeen denn her?“
„Das ist in dieser Situation nicht von Bedeutung und für Sie auch völlig unerheblich!“
Ömmel fiel die gestelzte Sprache seines Gegenübers auf. ,So reden keine gewöhnlichen Einbrecher‘, dachte er und fragte:
„Was wollen Sie von mir?“
„Ich werde Sie töten!“
Professor Ömmel hatte nie einen besonderen Sinn für schwarzen Humor gehabt, nun aber wünschte er sich innig, der Eindringling scherzte.
Es entstand eine kurze, sonderbare Pause, so als ob jeder von beiden erwartete, dass der andere die Unterhaltung fortführe.
„Wollen Sie nicht wissen, warum ich Sie erschießen will?“
„Ist das wichtig?“
„Für mich schon!“ sagte der Fremde.