Rache des chinesischen Drachen

Der Chinese (Diesmal keine Satire, sondern bitterer Ernst!)
Ich hoffe, ich habe Unrecht!

Ich habe vor kurzem den Krimi- und Spiegel- Bestseller „Der Chinese“ von Henning Menkell gelesen: In einem kleinen, abgeschiedenen Dorf in Schweden werden 19 Menschen auf bestialische Weise ermordet. Die Opfer dieser Vendetta sind alle untereinander verwandt, die brutalen Taten scheinen keinen Sinn zu ergeben.
Auf verschlungenen Wegen kommt heraus, dass die brutalen Morde ihren Ausgangspunkt im März 1864 beim Bau der Eisenbahn in Amerika genommen hatten. Die aus Kanton verschleppten Chinesen San sein Bruder Guo Si arbeiteten gewissermaßen am Paradebeispiel der rücksichtslosen Ausbeutung und Unterdrückung durch den weißen Mann!
Wie alle Chinesen arbeiteten San und sein Bruder auf der untersten Stufe. Beide wurden von dem schwedischen Vorarbeiter JA auf üble Weise gedemütigt und gequält.
S. 194: „San hasste JA …..‘Ich werde den Mann töten‘, sagte San. ‚Ich verlasse das Gebirge nicht, ohne ihn getötet zu haben. Ich werde ihn töten, ihn und alle, die so sind wie er.‘“
Im Gegensatz zu seinem Bruder überlebte San die Torturen und schrieb seine Erlebnisse für die Nachwelt nieder.

Anderthalb Jahrhunderte später ist einer der Nachfahren Sans, ein gewisser Yu Ra, in Peking zu Reichtum und Macht gekommen und beginnt einen Feldzug aus Zorn und Rache für das Unrecht, das seine Ur-Ur- Urahnen dereinst im 19. Jahrhundert erlitten hatten. Und er findet die Nachfahren des üblen Vorarbeiters JA in jenem kleinen abgeschiedenen Dorf.
Yu Ra lässt den Familienclan in Schweden durch einen Vertrauten mit einem Samurai-Schwert umbringen.
Soweit der Roman.
Bloß ein Krimi? Oder doch ein Menetekel?
Was hat sich Henning Menkell dabei gedacht, als Titel des Krimis die verallgemeinernde Form „Der Chinese“ zu wählen, obwohl eine ganze Reihe von Chinesen in die Handlung verwickelt sind?

Die deutsche Sicht auf das heutige China

Am 22.3. 2023, schrieb der Peking Korrespondent des RND, Fabian Kretschmer, im Börsenteil der HAZ : „ China will an die Spitze“. Darin heißt es unter anderem: „…. Für Pekings Parteiführung geht es dabei auch um eine Art historische Rache. Staatschef erinnert seine Bevölkerung bei jeder Gelegenheit daran, dass „ausländische Kräfte“ China während des sogenannten „Jahrhunderts der Schande“ in die Knie gezwungen, kolonialisiert und ausgebeutet hätten.“ Und dann fuhr Kretschmer in geradezu rührender Schlichtheit fort: „Und wenn China nun das weltweit größte Bruttoinlandsprodukt vorweisen könnte, wäre dies tatsächlich ein ironischer Wink der Geschichte.“
Wirklich? Geht es dem Chinesen nur darum, die Geschichte ein wenig ironisch winken zu lassen?
Mit Recht wird die deutsche Politik maßgeblich von unserer historischen Vergangenheit, der Zeit des Nationalsozialismus, geprägt. Umso drängender erscheint es mir, sich die prägenden historischen Erfahrungen klar zu machen.

Das „Jahrhundert der Schande“ aus chinesischer Sicht
China 1839. Den Luxusgütern, die Europa aus China bezog – Tee, Porzellan, Seide –, hatten die Europäer wenig Gleichwertiges entgegenzusetzen, die Handelsbilanz blieb negativ. Der Ausweg: Man zwang die Chinesen Rauschgift zu kaufen: Opium. Es funktionierte.
Während China zu Beginn des Jahrhunderts noch einen Überschuss an Silber von umgerechnet 26 Millionen Dollar erzielt hatte, flossen allein zwischen 1826 und 1836 rund 38 Millionen Silberdollar in europäische Hände.
Da Steuern und Gehälter in Silber zu bezahlen waren, ruinierte der sich rasant verschlechternde Umtauschkurs zu Kupfermünzen zahllose Bauern und Handwerker im Kaiserreich, während Beamte ihre Verluste durch Korruption zu kompensieren suchten. Nur der Opiummarkt florierte.
Etwa zehn Prozent der etwa 400 Millionen Chinesen waren der Droge exzessiv verfallen. Die Wirtschaft des Landes kollabierte, die Inflation ruinierte die Währung, viele Menschen versanken in Armut.

Lin Zexu, Sonderbeauftragter des Kaisers von China im Kampf gegen den Opiumhandel, schrieb einen Brief an Englands Königin Queen Victoria , in dem er die Einhaltung der Menschenrechte forderte:
„Wo, bitte, ist Euer Gewissen? Angenommen, es kämen Ausländer nach England, um Opium zu verkaufen und die Menschen zum Konsum zu verführen: das würdet Ihr, ehrenhafte Königin, sicher tief verabscheuen … Wenn Ihr solchen Schaden in Eurem Land nicht zulasst, solltet Ihr ihn doch wohl nicht auf andere Länder übertragen, schon gar nicht auf China!“
Dieser Appell an die Weltmoral juckte die Engländer wenig. Großbritanniens Drogenhändler erklärten sich zu Verteidigern des Freihandels und forderten das Eingreifen der Royal Navy. Die Flotte rückte tatsächlich an, als die Chinesen aufmuckten und in Chinas Häfen mehr als 20.000 Kisten Opium in Brand steckten.
Im Opiumkrieg von 1840 bis 1842 siegten die Europäer dank der militärischen Überlegenheit. Vae victis! Wehe den Besiegten! Das chinesische Kaiserreich musste einen Vertrag unterzeichnen, der britischen Kaufleuten freien Zugang zu den chinesischen Häfen eröffnete, Hongkong wurde britische Kronkolonie und China musste 21 Millionen Dollar an Reparationsleistungen zahlen.
Ähnliche Diktate mit anderen westlichen Staaten , die ihre Einflusssphären immer weiter ausdehnen, folgten, während sich die Krisen in China verschärften: Bevölkerungswachstum, Inflation, Korruption, Naturkatastrophen und Aufstände. Wieder gab es Krieg, den zweiten Opiumkrieg (1856 – 1860). Und wieder musste China einen „ungleichen Vertrag“ akzeptieren, den Vertrag von Peking vom 18. Oktober 1860, der noch stärker die Eigenstaatlichkeit Chinas beschränkte und Territorialverluste einschloss. Sogar Russland, obwohl gar nicht involviert, annektierte die Äußere Mandschurei und die Gebiete östlich von Ussuri und dem unteren Amur. Die Gründung von Wladiwostok („Beherrsche den Osten“) 1860 betrachtete Zar Alexander als Abschluss und Krönung der Expansion seines Imperiums.

Weitere Eingriffe in die chinesische Souveränität kamen nach den Opiumkriegen hinzu. Die Folge: zahlreiche Aufstände (z.B. der Taiping-Aufstand, der 1850 bis 1864 mehr als 20 Millionen Tote forderte.) In den 1870er Jahren wurde mit 87.000 Kisten, fast 5400 Tonnen Opium, der Höchststand erreicht. Dank der erzwungenen Freigabe des Handels und der Freistellung der Ausländer vom chinesischen Recht waren die Chinesen hilflos dieser Willkür ausgeliefert..

Die Rolle Deutschlands im „Jahrhundert der Schande“
Gegen die Besatzung von Teilen Chinas formierte sich im Frühjahr 1900 Widerstand. Die als „Boxer“ bezeichneten Aufständischen nannten sich selbst „Verband für Gerechtigkeit und Harmonie“. Das Land war in einem erbarmungswürdigen Zustand. Hungersnöte als Folge von Dürre, Überschwemmungen und Überbevölkerung, die Wut auf ausländische Missionare und die eigene Ohnmacht ließen die Boxer zu einer Massenbewegung werden.
Als am 20. Juni 1900 der deutsche Gesandte Clemens von Ketteler umgebracht wurde, kam zu militärischem Eingreifen einer europäischen Koalition. Zu dieser Allianz gehörten neben England auch Frankreich, Italien, Österreich, Russland, die USA, Japan und das Deutsche Reich.
Das deutsche Kontingent wurde am 27. Juli 1900 in Bremerhaven mit markigen Worten des deutschen Kaisers verabschiedet: „Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand … möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“

Das kaiserliche Expeditionskorps, dessen Kommandeur Alfred Graf Waldersee gleichsam als Sühne für den Mord an dem deutschen Gesandten die Führung über das internationale Heer übertragen worden war, kam mit 17.000 Soldaten in Peking an. Der Boxeraufstand wurde brutal von den militärisch überlegenen Europäern niedergeschlagen. Peking wurde mit Plünderungen und Zerstörungen großen Stils bestraft; zahlreiche Kunstwerke wurden geraubt. Danach gingen die europäischen Truppen mit summarischer Justiz gegen alle Chinesen vor, die sie für Boxer oder deren Sympathisanten hielten.
Die europäischen Sieger statuierten anschließend ein Exempel. Im „Boxer-Protokoll“ musste sich China dazu verpflichten, die beteiligten Beamten zu bestrafen, seine Festungen zu schleifen, eine Sühnedelegation nach Europa zu schicken und 450 Millionen Silberunzen Entschädigung zu zahlen, umgerechnet 67,5 Millionen Pfund. Selbst die an der Militäraktion nicht beteiligten Mächte Belgien, die Niederlande, Spanien, Portugal und Schweden erhielten ihren Anteil. Bis 1910 machten die Sühnezahlungen rund die Hälfte des chinesischen Staatshaushalts aus und erzwangen drückende Steuererhöhungen.
Mao und die große Transformation
Zu dieser von außen aufgezwungenen Demütigung kam nach dem Zweiten Weltkrieg noch selbstverschuldete Tragik hinzu. Fünfundzwanzig Jahre lang bestimmte Mao die Geschicke Chinas. Permanent initiierte er Umerziehungsaktionen, machte immer neue Zukunftsversprechen, verbreitete Pathos und einfache Weltbilder. Die Hundertblumen Kampagne. Der große Sprung nach vorn. Die Kulturrevolution. Immer neue Luftschlösser wurden gebaut, politische Gegner wurden von den Roten Garden ermordet.
Mao wird insgesamt für bis zu 40–80 Millionen Tote verantwortlich gemacht, die aufgrund von vermeidbaren Hungersnöten, Bestrafungsaktionen und politischen Säuberungen starben.

Geschichtsbetrachtung
Die Chinesen sehen ihre Vergangenheit mit Recht in Tausendern, aus diesem Blickwinkel waren die Opiumkriege erst vorgestern und die Hunnenrede Wilhelms II. erst gestern. Zweitausend Jahre ihrer Geschichte erfüllen sie mit Stolz, ein Jahrhundert erfüllen sie mit Zorn und Wut. Die Wunden der tiefen Verletzungen scheinen nicht verheilt und die Demütigungen nicht vergessen. Und es lässt sich erahnen, wie geschichtsbewusste Chinesen reagieren, wenn eine deutsche Außenministerin mit abgeschlossener Halbbildung Menschenrechtsverletzungen im heutigen China beklagt.
Oder wenn ein anderes schlichtes Gemüt, der ehemalige Bundesaußenminister Heiko Maas, beim G 7 Treffen in London im Jahre 2021 betont: „ Wirtschaftsinteressen gibt es überall, aber Fragen der Menschenrechte und der Freiheitsrechte müssen größeren Raum bekommen, wenn es um China geht!“ ( HAZ, 5.5.2021 )
China hat ein langes Gedächtnis.
Das Niederbrennen des kaiserlichen Sommerpalastes
Im Februar 2009 kamen Skulpturen aus dem Nachlass von Yves Saint Laurent in Paris zur Auktion. Darunter befanden sich zwei steinerne Tierköpfe: Der Kopf einer Ratte und eines Hasen gehörten einst zu den zwölf Figuren des chinesischen Jahreszeitenzyklus, die als Wasseruhr vor dem Brunnen des 1709 erbauten Sommerpalastes des Kaisers gestanden hatten.
Die Tierköpfe waren von den Franzosen bei der Zerstörung des Sommerpalastes der Kaiserlichen Gärten 1865 abgeschlagen und als Beute nach Frankreich gebracht worden.
Als die Skulpturen versteigert wurden, ging der Zuschlag mit 31,4 Millionen Euro an Cai Mingchao, den Geschäftsführer eines Auktions- und Handelshauses in Xiamen. Der erklärte jedoch unmittelbar danach, dass er nicht zahlen werde. Ihm sei es nur darauf angekommen, an das Unrecht zu erinnern, das China mit und seit den Opiumkriegen geschehen sei.

Fazit:
Europäer haben China im „Jahrhundert der Schande“ gedemütigt, seine Rohstoffe und Arbeitskräfte ausgebeutet. Kriege und Bürgerkrieg haben die einst stolze Kulturnation China ins Elend gestürzt.
Nun hat sich das Blatt gewendet. China entwickelt sich zur stärksten Industrienation. Europäische Firmen strömen ins Land.

Was ist, wenn China diese Firmen von heute auf morgen enteignen würde?
Was ist, wenn es diesmal von chinesischer Seite heißt: „ Pardon wird nicht gegeben!“
Ich hoffe, dass ich falsch liege und meine Befürchtungen nur fragwürdige Spekulationen eines alternden Historikers sind.
Wenn aber nicht, dann Gnade uns Gott. Dann sind der Klimawandel und das Gendergedöns noch die geringsten Probleme, die wir haben.
Literaturverzeichnis (auf Nachfrage)

 

 

Von Dr.Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.